«Arbeiter – die Sozialdemokraten wollen Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen»

Mit diesem ironischen Text, zusammen mit der Photo einer hoch über dem See thronenden Villa zu einem «Wahlplakat» montiert, hat der deutsche Aktionsgrafiker Klaus Staeck schon vor vielen Jahren auf geschickte Weise die Bigotterie der bürgerlichen Propaganda entlarvt. Dass Staeck den Tessin als Metapher wählte, war kein Zufall. Während sich ganze Talschaften mangels ausreichender Lebensgrundlagen zu entvölkern begannen, klotzten die Profiteure des (deutschen) Wirtschaftswunders beziehungsweise der Hochkonjunktur ohne viel Federlesens ihre Ferienhäuser Aussicht Carettaan die schönsten Südhänge in der sogenannten Sonnenstube der Schweiz, sehr zum Profit von Hangbesitzern und Baufirmen.

Ob dieser Entwicklung, die Mitursache der Gesetzgebung über den Grundstückerwerb von Ausländern in der Schweiz wurde, darf nicht vergessen werden, dass das wunderbare, fast mediterran anmutende Klima, die vielfältigen Naturschönheiten, das kulturelle Erbe und der lateinische Einfluss schon immer eine starke Anziehungskraft gerade auch auf Menschen mit einer alternativen Lebensauffassung ausübten. Von der Aufbruchbewegung Monte Verità zu Beginn des 20. Jahrhunderts über die KünstlerInnenkolonie Fontana Martina während des Zweiten Weltkrieges bis hin zur Casa Pantrovà in Carona oder die Scuola Dimitri in Verscio, das Casale al Bivio von Gerold Meier, die Casa Solidarietà oder das Gewerkschaftszentrum I Grappoli gab und gibt es Orte, die sich eher als Zukunftswerkstatt denn als Luxusbunker verstehen.

Aussicht auf Locarno und Lago Maggiore (18629 bytes)

In dieser Linie versteht sich auch die bislang weniger bekannte Casa Egner in Locarno-Muralto. An einer sensationell schönen Lage inmitten eines früheren Rebberghanges oberhalb des Lago Maggiore gelegen, mit Terrassen, die einen Rundblick vom ewigen Schnee der Alpenkämme über die Brissagoinseln hinweg bis (fast) ans Mittelmeer ermöglichen, stehen hier zwei unscheinbare Häuser inmitten einer paradiesischen Parkanlage.

Es mutet heute wie eine Ironie der Geschichte an zu erfahren, dass die Geburtsstunde der Casa Egner zurück geht auf die Periode des Kalten Krieges und des Antikommunismus in der Schweiz. Robi Egner – Gärtner, Kommunist und aktiver Gewerkschafter – wurde Ende der 40er Jahre wegen seines engagierten Auftretens schon bald einmal auf die Schwarze Liste des Gärtnermeisterverbandes gesetzt. Wie so viele andere PdA-Mitglieder wurde es immer schwieriger für ihn, eine adäquate Stelle zu finden. Und allein mit dem Einkommen seiner Lebensgefährtin Emmi Egner, einer einfachen Sozialarbeiterin, war der Lebensunterhalt nicht zu bestreiten.

Es war dem Umstand einer kleinen Erbschaft zu verdanken, die den Gärtner Egner schliesslich bewog, auf ein Inserat zu reagieren, in dem der Verkauf eines Rebberges angeboten wurde. Es handelte sich um ein grösseres Stück Land aus einer Erbteilung, oberhalb von Locarno gelegen und nur mühsam über einen steilen Fussweg erreichbar. Ausser vernachlässigten Reben standen da noch zwei kleine, ältere Gebäude: Ein Grotto mit Stall und darüber eine 2-Zimmer-Wohnung sowie ein Ökonomiegebäude zur Aufbewahrung der Geräte. → Historisches zur Casa Egner

Aufriss der beiden Häuser (4797 bytes)

Mangels Finanzen und aus Freude an der Natur besuchten die Egners ihre Liegenschaft anfänglich von Zürich aus zu Fuss; bald aber zogen sie definitiv in den Süden. Nicht, um ihr kleines, individuelles Glück zu zelebrieren, sondern in ständigem Kontakt mit ihem bisherigen politischen Umfeld. Um den zunehmenden Interessentinnen und Interessenten eine temporäre Bleibe zu ermöglichen, wurden unter aktiver Mithilfe von Freunden, Arbeitern und Handwerkern die vorhandenen Bauten sukzessive zu kleinen Ferienwohnungen um- und ausgebaut.

Ein Stück Zeitgeschichte bewahren...

Zur Tradition der Casa Egner gehört der aktiv praktizierte Antifaschismus, die Solidarität mit Verfolgten und ein gesellschaftspolitisches Engagement. Das, was Egners innerhalb der antifaschistischen Bewegung in Zürich mitgetragen hatten, fanden sie nun im grenznahen Tessin in diversen Beispielen wieder: Menschen, die selbstlos anderen die Flucht über die Berge ermöglicht haben, lebendige Erinnerungen an die Partisanenrepublik Ossola und nicht zuletzt auch an das Verhalten der offiziellen Schweiz, sicht- und greifbar in Form des «Campo die lavoro per profughi» in Gordola, einem Internierungslager nur fünf Kilometer nördlich von Locarno.

Einige der damals in Gordola internierten deutschen Antifaschisten suchten und fanden über ihre Kontakte zu Schweizer Genossen später wieder den Zugang zum Tessin – und landeten in der Casa Egner. Wilfried Acker, Paul Meuter, Fritz Sperling (der sich mit der Schweizerin Lydia Hug verheiratet hatte) beispielsweise, und durch deren Vermittlung respektive Tätigkeit in der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) folgten noch viele weitere, so auch Julius Schätzle oder Alfred Hausser.

... und weiterführen

Zusammen mit neueren und jüngeren BesucherInnen war die CASA EGNER immer ein besonderer Ort des Ausruhens, Auftankens und der Begegnung. Neue Themen wie Atomkraft, Umweltschutz, Kuba, Nicaragua, Südafrika und Asylpolitik rückten ins Zentrum der Gespräche, nebst all den Freizeitbeschäftigungen wie Wandern, Filmfestival oder Baden. Ende der 80er Jahre, als vieles politisch ins Rutschen kam oder ganz verschwand und die Gründer altershalber nicht mehr alles zu tragen vermochten, begann sich die Frage einer Neuorientierung zu stellen.

Locarno, See und Berge (27567 bytes)

Beschleunigt durch den plötzlichen Tod von Robi im Jahr 1992 konnte mit Emmi Egner eine Formel gefunden werden, dank der die Gefahr abgewendet wurde, dass nach ihrem Ableben (1995) die ganze Liegenschaft in die Hände der Behörden oder der privaten Grundstückspekulation fällt. Ziel ist es vielmehr, das über vierzig Jahre aufgebaute Begegnungszentrum im Sinne der Gründer weiterzuführen und zu erneuern. Dies ist mit einem enormen Effort seitens des Trägervereins gelungen.

Im Jahr 2000 sind die beiden Häuser mit ihren fünf vermietbaren Ferienwohnungen vollständig saniert worden. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt nun über eine Solaranlage, und dank einer Zentralheizung sind die Räume neuerdings ganzjährig bewohnbar. Neue Küchen sowie Boden- und Wandbeläge auf Basis eines erfrischenden Farbkonzeptes runden das Ambiente ab. Damit ist eine ideale Plattform geschaffen, um in einem angenehmen Umfeld «blau zu machen », auszuruhen, den Kopf auszulüften und mit Herz und Verstand über die sich stellenden Aufgaben zu reflektieren – allenfalls im Austausch mit mehr oder weniger gleich Gesinnten.

Die Räumlichkeiten bieten auch die Möglichkeit, als Gruppe (bis zu 18 Personen) zu kommen – und mittelfristig ist vorgesehen, eigene Seminarwochen anzubieten. Und sollte es im Tessin einmal regnen, so steht in der CASA EGNER ein Bibliotheksraum mit Spielsachen, Computerarbeitsplatz und Videoabspielgerät zur Verfügung. Kurz: Klaus Staeck hat nicht ganz recht bekommen...

Text erschienen in: Vorwärts, 9.3.2001 (René Lechleiter)

▲ Index Pressestimmen


Miniatur

Hannes Lindenmeyer im «a-bulletin» 27. Mai 2022 (Nr. 878)

Ferien fürs Volk – am Tessiner Millionärshügel

Am sonnigen Steilhang, hoch über dem pulsierenden Stadtleben von Locarno, zwischen einem wilden, palmenbestandenen Tobel und vornehmen Villengärten liegt ein Ferienhaus mit einer langen, aussergewöhnlichen Geschichte, einem einmaligen kulturellen, ökologischen, politischen und sozialen Angebot, besorgt von einem Gastgeberpaar, dessen Lebensgeschichte das Haus und seine Vergangenheit in idealer Weise in die Zukunft führt. Dieses „Gesamtkunstwerk“ heisst Casa Egner und bietet seinen Gästen ein unverwechselbares, einmaliges Erlebnis. Hannes Lindenmeyer

Der Aufstieg hinter dem Bahnhof Locarno ist steil und wird, je höher man steigt, desto steiler. Verständlich, dass der kleine René Lechleiter, der heutige Gastgeber, vor bald siebzig Jahren, als er das erste Mal hier als Ferienbub angekommen ist, diesen Weg „Himmelsleiterli“ nannte. Damals war das Haus der Egners nur zu Fuss erreichbar, noch war der Steilhang nur wenig überbaut. Später haben die immer vornehmeren Nachbarn ein Sträss­ chen durchgesetzt, so dass die Casa Egner und die paar Häuser rund herum heute per Auto erreichbar sind, allerdings verlangen die engen, unglaublich steilen Haarnadelkurven, eingebaut in ein ehemaliges Bachbett, einiges ab an Fahrkunst. Wer dann vor dem Haus mit seiner nicht alltäglichen Architektur steht, der stellt fest: Er ist in einem Paradies gelandet, genauer: In einem botanischen Garten.

Der rote Gärtner

Und da sind wir bei den Spuren der Geschichte dieses Hauses. Sie führen zurück ins Zürcher Volkshaus, in eine Streikversammlung der Gärtner im Jahre 1947. Es ging um ganze 5 Rappen: Der Gärtnermeisterverband bot 2.65 Stundenlohn an, die gewerkschaftlich organisierten Gärtner beharrten auf 2.70. Dem scheinbar kleinkrämerischen Lohnkampf war ein langer Arbeits­ konflikt vorausgegangen, den die Gärtner mit ihrem Streik – ausgerechnet im April, in der Hauptsaison – zu ihren Gunsten wenden wollten. Nach zehn Tagen kam es auf Vermittlung des Zürcher SP­Stadtrates Willy Spühler zu einer Einigung im Sinne der Arbeiter. Obschon in der Einigung festgehalten wurde, die Streikenden dürften nach Wiederaufnahme der Arbeit nicht gemassregelt werden, traf es einen der besonders engagierten Gärtner einige Monate später dann doch hart: Robert Egner, nicht nur Gewerkschafter, sondern auch aktives Mitglied in der 1944 gegründeten kommunistischen Partei der Arbeit. Ihm wurde gekündigt, er geriet auf eine Schwarze Liste und verlor damit die Aussicht, in Zürich in seinem Beruf arbeiten zu können.

Der glückliche Umstand, dass Robert gerade in dieser Zeit eine kleine Erbschaft machte, hat es ihm und seiner Frau Emmi ermöglicht, die steile Rebbauparzelle mit zwei kleinen Gebäuden oberhalb Locarno, die sie in einer Zeitungsannonce fanden, zu erwerben. Emmi, ausgebildete Sozialarbeiterin – zwölf Jahre zuvor noch aktive Kämpferin gegen die spanischen Faschisten – und Robert sind so aus ihrem bescheidenen Proletarierleben in Zürich ausgestiegen, ihre politischen Überzeugungen aber haben sie ins Tessin mitgenommen. Sie verstanden sich deshalb auch nie als „Aussteiger“, sondern ihren Wohnortswechsel als Schritt zu einem neuen „Wirkungsort“. Dahin mitgenommen hat Robert der rote Gärtner auch seine Liebe zu den Pflanzen und seinen „grünen Daumen“ – davon zeugt der eindrückliche botanische Garten, den er auf dem einstigen Rebberg angelegt hat.

Ferien fürs Volk

Wenn es nur um Roberts Garten gegangen wäre, könnte an „Selbstverwirklichung“ gedacht werden, wie sie während Jahrzehnten viele DeutschschweizerInnen im Tessin suchten. Die beiden Egners verstanden ihre Aufgabe aber anders: Sie schufen einen Ort, ein offenes Haus, wo GenossInnen, ArbeiterInnen, AntifaschistInnen und ihre Angehörige sich von den Mühen des proletarischen – und wohl auch des politischen Alltags – erholen konnten, und zwar nicht nur dank Sonne und grandioser Aussicht, sondern auch dank Austausch unter engagierten Menschen.

Ferien sind Ende der 1940­er, anfang der 1950­er Jahre in der Schweiz ein sozialpolitisch heiss diskutiertes Thema. Ein erstes kantonales „Feriengesetz“ gibt es erst 1931 in Baselstadt: Es garantiert je nach Dauer des Anstellungsverhältnisses einen Ferienanspruch von sechs bis maximal zwölf Ferientagen. Erst nach dem Krieg erkämpfen die Gewerkschaften nach und nach bessere Regelungen. Lohnfortzahlung während der Ferienzeit ist das eine, aber was sollen die ArbeiterInnen mit ihren höchst bescheidenen Löhnen in der arbeitsfreien Zeit überhaupt machen? Im Unterschied zu den begüterten Schichten, die sich seit jeher Hotels und Ferienwohnungen leisten, kam das für sie nicht in Frage. Gewerkschaften, linke Parteien, Arbeitervereine gründeten deshalb nach 1940 einfache Ferienhäuser, Pensionen, Ferienwohnanlagen in verschiedenen Tourismusregionen, im Tessin zum Beispiel die Casa Solidarieta des Arbeiterhilfswerks im Centovalli oder das Feriendorf Sessa des VPOD. Egners „Ferien fürs Volk­Projekt“ entspricht vielen vergleichbaren Angeboten der Arbeiterbewegung jener Zeit. Die Gebäude, die sie 1948 übernahmen, waren sehr bescheiden: 1910 für eine Rebbauernfamlie erstellt, mit Grotto (Vorratskeller), einigen kleinen Zimmern, dem grossen Kamin in der Küche, einem kleinen Nebengebäude mit Laube. Mit einfachsten Mitteln richteten Robert und Emmi darin Ferienwohnungen ein: ein Rechaud auf einem Wandbrett musste als Küche genügen, gemeinsame Toilette, die Möbel aus dem Brockenhaus. 1964 wagten sie einen Sprung: dank Verkauf eines Teils der grossen Parzelle konnten ein Ausbau finanziert und damit weitere Wohnungen erstellt werden. Mitarbeiter des renommierten Büros Häfeli / Moser/ Steiger – die Architekten des Zürcher Kongresshauses – sorgten bei diesem Umbau für eine ästhetisch bis heute sehr überzeugende Gestaltung.

Den Spekulanten zuvorgekommen

1992, als Robert stirbt, stehen die Immobilienhändler in den Startlöchern. Inzwischen hat sich das einst verwilderte Rebgelände rund um die Casa Egner am Sonnenhang zum hochbegehrten Spekulationsparadies für exklusive Villenbauten verwandelt. Auch die Gemeinde würde einen Verkauf zu Höchstpreisen begrüssen, spülte das doch einiges an Handänderungssteuern in die Kasse. René Lechleiter und Susanne Schreiber, er seit Kindsbeinen eng mit den Egners befreundet – stellen sich an die Seite der bedrängten Emmi und versprechen ihr, sie beim langfristigen Erhalt der Casa Egner und dem so besonderen Geist dieses Projektes zu unterstützen. Jedes zweite Wochenende verbringen sie nun im Tessin, Susanne besorgt die Vermietungsadministration und kniet sich in die aufwändige Pflege des grossen Gartens, René plant und organisiert den baulichen Unterhalt. Der Verein, den sie zusammen mit Emmi gründen, tritt 1992 nach Emmis Tod das Erbe und damit die grosse Aufgabe an, die ziemlich heruntergekommenen Gebäude nach und nach zu sanieren – vor allem auch: die dazu nötigen Finanzen zu beschaffen. René reduziert dafür seine Anstellung in einem Zürcher Architekturbüro, nach ihrer Pensionierung nimmt Susanne Wohnsitz im Tessin und führt die Hausverwaltung. Hin und wieder werden die beiden von Freunden mit professioneller gärtnerischer, technischer oder handwerklicher Kompetenz unterstützt; „Ressourcentausch“ nennt das René: statt einem Lohn die Befriedigung, bei einer guten Sache dabei sein zu dürfen.

Mit jahrelangem, persönlichen Einsatz, Verzicht auf Freizeit und Entlöhnung gelingt es Susanne und René, die Casa Egner als einzigartiges „Ferien fürs Volk­ Projekt“ vor der Spekulation zu retten. Ganz zum Unterschied zu andern Projekten: Das Arbeiterhilfswerk SAH überlässt Ende der 1990­er Jahre seine Casa Solidarieta – während Jahrzehnten Ferienpension für Arbeiterfamilien und ältere GenossInnen – privaten Händen, die einige Jahre später das traditionsreiche Haus mit grossem Gewinn verkaufen. Die Casa al Bivio, nur ein paar Kilometer von der Casa Egner entfernt, aufgebaut von den Pazifisten Gerold und Elena Meyer, Treffpunkt des Service Civile International, geht nach dem Tod dieser beiden Pioniere ebenfalls ins Erbe des SAH. Auch hier kann das SAH dem Angebot der Spekulanten nicht widerstehen: Anstelle des grossartigen wilden Parks verunstalten heute ein paar meistens leerstehende Villen mit Kunstrasen den Sonnenhang von Brione sopra Minusio. Der Vergleich zeigt: Solidarische Projekte überleben nicht ohne idealistischen Einsatz, sie leben von so engagierten Menschen wie einst Robert Egner und Emmi Egner­Schneble, wie seit 30 Jahren bis heute Susanne Schreiber und René Lechleiter.

Würdige Nachfolge

Sie zwei, diese RetterInnen der Casa Egner und heutigen VerwalterInnen, sind Geistesverwandte der PionierInnen Robert und Emmi. René stammt aus einer Familie, die sich seit drei Generationen im Kampf gegen den Faschismus engagiert; sein Grossvater wurde 1942 von den Nazis ermordet, sein Vater arbeitete während dem Krieg als Mitglied der verbotenen KPD im Untergrund. Die Geschichten, die Robert über die antifaschistischen Kämpfer aus dem nahen Ossolatal und aus dem Internierungslager Gordola erzählt, begeistern und politisieren den jungen René. 1967 lernt er in der Bewegung gegen den Vietnamkrieg Susanne kennen. So wie einst Emmi in den Spanischen Bürgerkrieg zog, so beschliesst das junge Paar 1971 nach der Wahl Salvador Allendes nach Chile auszuwandern, um am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. Allerdings führt sie ihre abenteuerliche Reise dorthin – per Schiff – vorerst von Mexiko aus durch verschiedene südamerikanische Staaten. Nach dem Motto: „Wir haben kein Geld, aber Zeit“ engagieren sie sich unterwegs in den verschiedensten politischen und kulturellen Projekten und bauen so ein persönliches Netzwerk auf, das sie bis heute mit Südamerika verbindet. Als sie schliesslich in Chile ankommen, müssen sie bereits nach einem Jahr auf Anraten von Genossen dem drohenden Militärputsch ausweichen; ausländische Aktivisten sind besonders gefährdet.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz, so Susanne heute, sei ihnen klar gewesen: „Unsere Aufgabe ist es, von hier aus unsere Solidarität mit den Kämpfen in der Welt zu beweisen und uns entsprechend zu engagieren“. Sie sind mit dabei im Allende Komitee, in der Antiapartheidbewegung, als aktive Mitglieder in Solidaritätsgruppen für Kuba, Paraguay, Zentralamerika. Susanne arbeitet während Jahren als Beraterin und Betreuerin von Flüchtlingen und Erwerbslosen, politisch engagierte Sozialarbeit wie das einst Emmis Beruf war.

Ein Ferienangebot der besonderen Art

Die heute in der Casa Egner angebotenen fünf Ferienwohnungen unterschiedlicher Grösse sind sehr sorgfältig gestaltet; ein durchdachtes Farbkonzept, eine funktionale, ästhetisch überzeugende Möblierung und Ausstattung von Küchen und Duschen zeugen von der professionellen, gestalterisch sichern Hand von René als erfahrener Architekt. Alle Räume sind ausgestattet mit einer eindrücklichen Sammlung von Bildern, vor allem südamerikanischer KünstlerInnen. Ein Gang durchs Haus ist wie der Besuch eines kleinen Kunstmuseums; zu jedem Bild wissen die HausverwalterInnen ihre persönlichen Geschichten und Beziehungen zu den KünstlerInnen zu erzählen. Das eine oder andere Bild ist auch vor Ort entstanden: „Artists in Residence“, Kunst gegen Unterkunft.

Ein Raum atmet ganz besonders den Geist und die Geschichte des Hauses: Die Bibliothek. Ihr Grundbestand geht zurück auf die Austausch­Bibliothek des PdA­Literatur­Obmanns. Dieser versorgte einst die Parteimitglieder mit empfohlener Literatur, entsprechend der wichtigen Bedeutung, die die Partei der Bildungsarbeit zuschrieb. Bestände aus der ehemaligen Buchhandlung Literaturvertrieb kamen dazu, so dass die kleine Casa Egner­Bibliothek heute über ein breites Spektrum an globaler Arbeiter­Belletristik, Klassikern, seltenen Erstausgaben verfügt, ergänzt mit leichter Ferien­ und Unterhaltungslektüre sowie einem Videoangebot. Für allfällige Regentage in den Tessinerferien ist gesorgt.

Das steile Gelände, kunstvoll terrassiert, bietet verschiedene Plätzchen an Sonne und Schatten, eine Feuerstelle, abenteuerliche Weglein ins steile Tobel – und die Einladung, mit Hilfe von Plan und Anschriften die überraschende Pflanzenvielfalt des mediterranen Berghangs kennen zu lernen: 150 Pflanzensorten werden hier nachgewiesen.

Die Casa Egner, ihre Geschichte, ihr einmaliges kulturelles, soziales, ökologisches Angebot darf als Gesamtkunstwerk bezeichnet werden, das ein ausserordentliches Ferienerlebnis verspricht.

PDF lesen (3.2 MB)

▲ Index Pressestimmen

Das Ferienhaus-Projekt der Casa Egner hat viel Sozialgeschichte, bauliche Veränderung und Engagement zum Erhalt der Häuser erlebt

ZIMMER MIT AUSSICHT HOCH ÜBER MURALTO

Miniatur

Von Rolf Amgarten, Tessiner Zeitung, 18. 2. 2011

[...] Suzanne Schreiber-Lechleiter verwaltet das kleine Tourismusprojekt und empfängt mich vor dem unteren Haus. Auf sich aufmerksam gemacht hatte sie, als sie als Leserin der TZ zur Erhöhung der Kurtaxe einen kritischen Leserbrief geschickt hatte. Darin bemängelte sie sowohl die hohen Preise, die Lärm- und Baubelästigungen und fehlende Qualität bei relativ hohen Preisen, was die Touristen abschrecke. Damit löste sie eine Welle weiterer kritischer Leserbeiträge zum Tessiner Tourismus aus. Da liegt es nahe, aus der Nähe zu sehen, was denn beispielsweise ein Verein Casa Egner besser macht.

Die Vereinspräsidentin führt mich herum, zeigt mir den über drei Meter hohen Olivenbaum. «Ein Friedenssymbol». Als erstes fällt auf, dass sowohl die Gartenanlagen, der Umschwung sowie die Ferienwohnungen der beiden Häuser liebevoll und «organisch» gepflegt und renoviert worden sind. «Das mussten wir, weil mit der Zeit einfach die Touristen ausblieben. Die Ansprüche an den Komfort sind halt angestiegen und wir mussten mit der Zeit gehen. Die Zeit der Ferienpioniere ist endgültig vorbei. Die Schweizer Touristen sind ausgeblieben und nur noch ins Tessin verliebte Deutsche mochten mit dem bestehenden asketischen Angebot Vorlieb nehmen. Heute sind in allen Wohnungen Zentralheizungen vorhanden. «Wir können sie somit auch im Winter anbieten. Vielleicht an Kunstschaffende, welche sich zurückziehen möchten», sagt Suzanne Schreiber. Es sind warme, freundliche und helle Zimmer mit einem frechen, modernen Farbtouch in den Küchen geworden. Man kann sich zwar zurückziehen, aber Egners Haus scheint doch eher für Begegnungen und den Austausch konzipiert. [...]

Ganzen Artikel lesen: Artikel als PDF

▲ Pressestimmen


WoZ vom 15.03.2007 - Ressort WOZ-Reisen

An den Südhängen des Tessiner Sees scheinen auf den ersten Blick nur noch Gutbetuchte in protzigen Villen zu leben. Es gibt allerdings Ausnahmen.
 

Die Oase des roten Gärtners

Von Daniel Stern

Von Minusio bis nach Ronco hinter Ascona wird immer weiter den Hang hinauf gebaut, die einstigen Dörfer am See und in der Höhe sind zu einer acht Kilometer langen Stadt zusammengewachsen. Die letzten grünen Flecken dazwischen drohen zu verschwinden. Es scheint, dass alle mit ihrem Haus einen möglichst ungetrübten Blick auf den See und die Tessiner Alpen wollen. Und von der vielen Sonne profitieren, die die Hänge ganztags bescheint und die Nordufer des Lago Maggiore zur mildesten Region der Schweiz macht.

Linke Migration ins Tessin

Der Erste war Michail Bakunin. Der russische Anarchist liess sich 1873 von seinem italienischen Freund Carlo Cafiero ein Grundstück in Minusio kaufen. Bakunin taufte die dort neu errichtete Villa Baronata und machte sie zum Treffpunkt für «zahlreiche Revolutionäre, Anarchisten und Abenteurer», wie der Tessiner Verkehrverein auf seiner Website schreibt. Allerdings blieb der libertäre Gegenspieler von Karl Marx nicht lange am beschaulichen Ort. Er verkrachte sich mit Cafiero und zog nach Bologna, wo gerade ein Aufstand tobte. Zwei Jahre später starb er in Bern.

24 Jahre nach Bakunins Tod wurde das Südufer des Lago Maggiore erneut zum Magneten für UtopistInnen. Auf dem Monte Verità, dem Hügel oberhalb Asconas, trafen sich Dadaistinnen und Ausdruckstänzer, Anthroposophinnen und Sozialisten, Psychoanalytikerinnen und Schriftsteller. Einige taten sich in «Liebeskommunen» zusammen, andere gründeten ein vegetarisches Sanatorium.

Heute steht zuoberst auf dem Monte Verità ein schickes Kongresshotel, umgeben von einem öffentlichen Park. Von der «verändernden Kraft» von vor hundert Jahren ist nichts mehr zu spüren. Auch nicht bei der Villa Baronata: Das Haus stand in den achtziger und neunziger Jahren meist leer. HausbesetzerInnen wurden von der Polizei immer wieder vertrieben.

Viele der Villen sind allerdings nur wenige Wochen im Jahr bewohnt. Minusio etwa hat einen Zweitwohnungsanteil von 35 Prozent. Die Tessiner Regierung hat in den neunziger Jahren das Ihre dazugetan, dass diese Zersiedelung ungestört weitergehen konnte. Sie liess eine Schnellstrasse für eine halbe Milliarde Franken in den Berg tunneln und in Locarno einen Verkehrskreisel von rekordverdächtigen 138 Metern Durchmesser errichten. Der Privatverkehr hat alle Privilegien und soll bloss nicht wegen Staus zum Erliegen kommen.

Allerdings: Ein einziges Einerlei ist dieses Agglomerationsband dann auch wieder nicht. Die Dorfkerne haben zumeist ihren Charme behalten. Ausserdem bieten die Zentren von Locarno und Ascona viel Raum zum Flanieren und gemütliche Strassencafés auf schönen Piazzas. Doch auch in der Villenzone gibt es kleine Oasen: Eine solche ist die Casa Egner, die auf halbem Wege zwischen dem Bahnhof Locarno und Madonna del Sasso liegt. Zwei Wohnhäuser mit sechs unterschiedlich grossen Ferienwohnungen stehen am terrassierten Hang. Umgeben sind sie von 150 verschiedenen Bäumen, Sträuchern, Blumen und Kräutern, die hier wohlüberlegt angepflanzt und mit Metallschildern beschriftet wurden. Auf kleinen Wiesen und an Steintischen lässt es sich gemütlich in der Sonne sitzen und in die Weite blicken. Die Casa Egner ist ein Ort zum Ferienmachen, aber auch ein Treffpunkt für Linke, eine Möglichkeit für Gruppen, sich zurückzuziehen oder ein Seminar zu veranstalten.


Hauskauf nach Streik

Die Geschichte der Casa Egner geht auf einen Streik von 1947 in Zürich zurück: Die Angestellten in den Gärtnereien der Stadt fordern einen Mindestlohn von Fr. 2.50 in der Stunde. Einer der Engagiertesten unter den Streikenden ist Robert Egner, Aktivist in der Gärtnergruppe Edelweiss der Gewerkschaft VHTL und auch Mitglied der 1944 gegründeten kommunistischen Partei der Arbeit (PdA). Der Streik der Gärtner ist legal. Die Streikposten beschimpfen zwar hin und wieder ein paar Streikbrecher, doch an der Arbeit wird niemand gehindert. Die Polizei rapportiert abschliessend, die Streikenden hätten sich «anständig und diszipliniert» verhalten. Bezüglich der Gärtnermeister heisst es dagegen an anderer Stelle: «Sie legen ein etwas nervöses Benehmen an den Tag.»

Mehr als nervös kommentiert die bürgerliche Presse das Verhalten der Streikenden: Die christlich-demokratischen «Neuen Zürcher Nachrichten» schreiben vom «roten Terror», und die freisinnige «Neue Zürcher Zeitung» vermutet «dunkle politische Absichten». Die Reaktion auf den Gärtnerstreik von Zürich nimmt das vorweg, was linke AktivistInnen später im Kalten Krieg zu hören bekommen. Dennoch: Der Streik ist erfolgreich. Nicht zuletzt, weil rund 3000 Menschen (gemäss der sozialdemokratischen Zeitung «Volksrecht») an einer Solidaritätsdemonstration auf dem Helvetiaplatz teilnehmen.


Treffpunkt von AntifaschistInnen

Für Robert Egner hat der Arbeitskampf allerdings negative Langzeitfolgen. Sein Name erscheint, so vermutet er, auf einer schwarzen Liste der Gärtnermeister. Er findet keine Arbeit mehr. Zum Glück macht er Ende der vierziger Jahre eine kleine Erbschaft. Mit diesem Geld kauft er sich oberhalb von Locarno sehr günstig ein Stück Land. Damals wurden am ganzen Hang noch Weintrauben angepflanzt, der Bauboom begann erst später. Zusammen mit seiner Frau Emmi Egner, auch sie aktive Kommunistin, beginnt er die beiden Häuser am Weinberg zu renovieren. Unter denjenigen, die schliesslich gegen ein bescheidenes Entgelt in den fünfziger Jahren hier Ferien machen, befinden sich deutsche AntifaschistInnen, die während des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz geflüchtet waren und im nahen Gordola interniert wurden. Andere, die hier die Schönheiten des Tessins geniessen, haben in Konzentrationslagern der Nazis überlebt.

Die Casa Egner wird zum Treffpunkt der kommunistischen und antifaschistischen Linken. Auch Egners GenossInnen aus Zürich finden sich hier ein. Der Architekt René Lechleiter erinnert sich, wie er als Kind hier Ferien machte. Sein Vater war, wie er selbst heute, Aktivist der PdA. Er sagt, die Geschichten, die ihm die deutschen AntifaschistInnen erzählten, hätten ihn geprägt. Die Egners sind Anfang der neunziger Jahre gestorben. Nachkommen hatten sie keine. Sie haben ihr Grundstück einem Verein vererbt, der sich seither um die Vermietungen kümmert. René Lechleiter gehört zum Vereinsvorstand. Nach seinen Plänen wurden die Wohnungen sanft renoviert. Er sagt, mit den Einnahmen aus den Vermietungen komme man eben knapp über die Runden. Die Darlehen, die aufgenommen werden mussten, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen, hätten jedoch bislang nicht zurückbezahlt werden können.